Auf dem Weg zu den Besten?

Das dem Leistungsprinzip verpflichtete Unternehmen kämpft gegen eine verleugnete Realität: Persönliche Privilegien lösen sich von persönlicher Leistung. Deshalb muß man sich fragen: Was genau wird in unserem Unternehmen belohnt? Tatsächlich dasjenige, um das sich der einzelne durch Können und Anstrengung verdient gemacht hat? Oder vielmehr Self-Marketing und die Erfüllung der Bedürfnisse des Vorgesetzten? Woran erkennen wir eine Leistungskultur? Was bedroht Leistungsgerechtigkeit? Was stärkt sie? Wer verrät sie? Inwiefern ist sie überhaupt erstrebenswert?

Herr Zwygart: Sie machten eine beeindruckende Karriere und verfügen über umfassende Erfahrung: Sind die Leute an der Spitze auch die Spitzenleute?
In der Regel ja. Ich denke hier besonders auch an die Chefs unserer KMU, also von kleineren und mittleren Firmen mit wenigen bis einigen hundert Mitarbeitern. Das sind Entrepreneurs, welche mit überdurchschnittlichem Elan vorangehen und ihre Produktidee erfolgreich vermarkten oder Jahr für Jahr unter schwierigeren Markt- und Umfeldverhältnissen erfolgreiche Jahresabschlüsse vorweisen. Das sind Spitzenleute, vor ihnen ziehe ich den Hut.

In seinen Spitzenzeiten ließ Federer einmal verlauten: «Es gibt die Nummer Eins – und den Rest». Gilt das auch im Managementkontext?
Nein. Die von mir erwähnten Unternehmer würden ihre Mitarbeiter nicht als «Rest» bezeichnen. Sie sind sich bewusst, dass sie zwar die Gesamtverantwortung tragen, ohne ihre kompetenten und engagierten Mitarbeiter aber nicht so erfolgreich wären. Das ist auch in Streitkräften so: Verantwortungsbewusste Generäle wissen, dass sie ihre Soldaten unendlich nötig haben.

Was sind die Erkennungsmerkmale der Besten?

Die Besten sind über eine längere Zeitspanne erfolgreich, nicht nur zufällig oder einmal, sondern über Jahre hinaus, auch unter widrigen Verhältnissen. Die Besten bleiben in Erinnerung.

Seit altersher werden Wettkämpfe mit der Formel eröffnet «auf daß der Bessere gewinne!». Sind im Managementkontext Konkurrenzsituationen geeignet, um den Besseren zu identifizieren?
Konkurrenzsituationen gehören in der globalen Wirtschaft zum Alltag. Sie führen dazu, dass sich Führungskräfte immer wieder neu orientieren, Neues schaffen und alternative Wege einschlagen müssen, um mit ihrer Firma zu überleben bzw. sie weiterzuentwickeln. Es ist normal, dass in Unternehmen in der Regel mehrere Anwärter, interne und externe, Karriere machen und sich entwickeln wollen. Konkurrenz belebt, spornt an und macht Kräfte frei. Pathologisch wird das Konkurrenzdenken, wenn das oberste Ziel nicht mehr in der gesunden Entwicklung des eigenen Unternehmens besteht, sondern die anderen Firmen zu verdrängen und zu vernichten; oder wenn ein Einzelner seine Mitbewerber schlecht macht und mit unlauteren Mitteln arbeitet.

Wenn man zu den Besten gezählt wird, welche Nachteile erwachsenen einem?
Zum einen Neid und Missgunst: Die Besten werden mit Argusaugen beobachtet. Jeder kleine Misserfolg wird registriert und genüsslich verbreitet. Die Erfolgreichen sind nicht immer beliebt. Zum anderen übertriebene Gefolgschaft: Die Besten werden zu Helden, denen alles gelingt. An ihrem Erfolg möchten andere teilhaben. Das führt dann zu den bekannten Gefolgsleuten (dem Schmeichler, dem Opportunisten oder dem Wellenreiter), welche sich dadurch besonders hervorheben, dass sie zu Ja-Sagern mutieren. Während sich die Besten gegen Neid und Missgunst kaum allein wehren können, sind sie selbstständig in der Lage, die kritischen, andersdenkenden und komplementären Leute zu berufen und die Erfüllungsgehilfen nicht um sich zu scharen.

Kann man aus dem Erfolg des einzelnen – direkt oder indirekt – auf seine Leistung schließen?
Nein, zumindest nicht immer. Bei Roger Federer ist das einfach: Wenn er gewinnt, dann deshalb, weil er auf dem Platz die bessere Leistung erbracht hat. In der Wirtschaft ist es nicht so eindeutig: Sind die positiven Zahlen im ersten Halbjahr auf die Entscheidung des CEO zurückzuführen oder – mindestens zu Teilen – auch auf das verbesserte Produkt oder den neuen Distributionsprozess oder auf die verbesserte Konjunktur? Wie wird der Anteil der Belegschaft am Gesamterfolg gemessen? Haben die Schwierigkeiten einzelner Konkurrenten Anteil am eigenen Erfolg? War vielleicht sogar Glück dabei? Leider ist unser Blick durch die Ausrichtung auf Quartalsergebnisse, Aktienkurs und EBIT eingeschränkt. Zudem neigen wir dazu – ausgehend vom angloamerikanischen Führungsverständnis – einer einzelnen Person, dem CEO, der zugleich noch Präsident des Verwaltungsrats ist, den Erfolg zuzuschreiben. Doch das ist meines Erachtens ein Trugschluss. Dieses «Heldenverständnis», das einzelnen Menschen Superkräfte zuschreibt, ist ein Missverständnis, weil es die vorhin erwähnten Mithelfer ausblendet und alles nur auf den einen Führer ausrichtet. Im Endeffekt führt das zu überhöhten Managerlöhnen, Boni und Abfindungen. Ein Einzelner ist schlicht nicht in der Lage, ein Unternehmen mit 50’000 oder mehr Mitarbeitern in einer komplexen Umwelt allein zu überblicken und zu steuern: «simply too big to be governed»!

Was würden Sie zum Leistungsprinzip zählen? Daß derjenige, der sich anstrengt, belohnt wird, oder daß nur seine Resultate zählen?
Resultate gehören zum Leistungsausweis. Da kommt niemand darum herum. Aber es sollte nicht das alleinige Kriterium sein. Wie ich vorhin erwähnt habe, sind weitere Aspekte zur Beurteilung der Leistung zu berücksichtigen: ua die allgemeine Konjunkturlage, die spezielle Marktsituation, die Leistungen von Mitarbeitern (zum Beispiel Ergebnisse des Forschungs- und Entwicklungsteams, das ein neues Produkt entwickelt hat, oder ein Verkaufsmitarbeiter, dem ein besonderer Vertragsabschluss gelungen ist). Zur Leistung zählt auch das Führungsverhalten, das sich im Verantwortungsbewusstsein gegenüber dem gesamten Unternehmen, den Stakeholdern und dem politisch-sozialen Umfeld zeigt.

Widerspricht es dem Leistungsprinzip, wenn Begabte dafür belohnt werden, daß sie mühelos erfolgreich sind?
Nein. Begabte zeichnen sich dadurch aus, dass sie besonders intelligent sind. Intelligenz ist zu einem sehr grossen Teil angeboren und lässt sich mit einem IQ-Test relativ einfach messen. Wissenschaftlich konnte nachgewiesen werden, dass Intelligenz ein massgebliches Kriterium ist, um den Erfolg einer Person vorauszusagen. Wenn die Intelligenz mit Gewissenhaftigkeit, Loyalität und Integrität, wichtigen Teilkompetenzen des Verantwortungsbewusstseins, gepaart ist, so sind ideale Voraussetzungen für ausgezeichnete Leistungen im Interesse des Unternehmens und der wichtigsten Stakeholders gegeben. Mühelos wird jedoch niemand erfolgreich. Führungskräfte müssen sich immer wieder von neuem engagieren und mit Schwierigkeiten umgehen und Krisenlagen bewältigen können, nur dann sind sie auch längerfristig erfolgreich.

Wenn Sie den Weg an die Spitze betrachten: Wie kann man verhindern, daß diejenigen Karriere machen, die den anderen nach dem Munde reden und nur die persönlichen Bedürfnisse des Vorgesetzten erfüllen?
Im Allgemeinen bevorzugen Menschen Lob – ich gehöre auch zu ihnen. Wir lassen uns nicht gerne kritisieren und reagieren rasch unwirsch oder beleidigt. Als Führungskräfte sollten wir uns aber bewusst sein, dass uns vor allem kritische Anregungen, Hinweise auf Fehler und kontroverse Diskussionen weiter bringen und verhindern, dass wir nachlässig, arrogant oder verblendet werden. Deshalb ist es so wichtig, ein Umfeld zu schaffen, in dem ein offener Dialog herrscht und der Überbringer einer schlechten Nachricht nicht totgeschwiegen wird. Die Wirtschafts- und die Militärgeschichte ist voll von solchen Beispielen. Es geht also darum, dass die Schmeichler, Opportunisten und Wellenreiter entlarvt werden. Talente sollten über Jahre beobachtet werden und immer wieder mit herausfordernden Aufgaben betraut werden. So wird sich die Spreu vom Weizen trennen.

Wie subjektiv sind Leistungsbeurteilungen durch Vorgesetze?
Leistungsbeurteilungen beinhalten stets einen Kern Subjektivität. Das lässt sich kaum negieren. Besser scheint mir, den subjektiven Anteil, und mag er im Einzelfall noch so klein sein, stets in Rechnung zu stellen. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass Resultate und individuelle oder mit einem Team erbrachte Leistungen miteinbezogen werden, und sich weitere Vorgesetzte an der Leistungsbeurteilung oder an einer Selektion beteiligen. Zudem empfehle ich eine periodische 360-Grad-Beurteilung, bei der Kollegen, Kunden und Mitarbeiter anonym die Gelegenheit haben, Talente zu beurteilen.

Haben Sie persönlich schon Situationen erlebt, in denen das Leistungsprinzip kraß missachtet wurde?
Wie bereits mehrfach erwähnt, besteht eine Leistung aus Resultaten, Verhalten und weiteren, in einem bestimmten (Markt-) Umfeld wichtigen Komponenten. Das Leistungsprinzip wird dann missachtet, wenn diese genannten Kriterien ausgeblendet und eine Person aus anderen Gründen befördert oder an die Spitze einer Organisation gesetzt wird. Diese «anderen Gründe» können politischer oder erbrechtlicher Natur sein. Diese mögen aus der subjektiven Sicht berechtigt sein; wenn sie aber die ausschliesslichen sind und Leistungen keine Rolle spielen, so spreche ich von einem Fehlentscheid, der sich vermutlich in der Zukunft negativ auswirken wird. In diesem Sinne muss ich Ihre Frage leider bejahen: Ja, ich habe erlebt, dass das Leistungsprinzip missachtet wurde und jedes Mal ging es später schief.

Als Cäsar den Rubicon überschritt, hatte er schon ein halbes Weltreich erobert außer Rom selbst. Worin besteht die Leistung eines Machtmenschen, der alles gibt, nur um sich durchzusetzen?
Wer nicht bereit ist, Macht auszuüben, eignet sich nicht als Führungskraft. Zur Machtausübung gehören beispielsweise Entschlusskraft, Organisations- und Koordinationsfähigkeit, Leistungs- und Durchsetzungswille und Ehrgeiz, sich auszuzeichnen. Macht allein genügt jedoch nicht. Macht benötigt Befähigung und Verantwortung als Balance. Befähigung beinhaltet zum Beispiel Empathie, Teamfähigkeit, Coaching/Mentoring, Diversitätsmanagement und Kommunikationsfähigkeit. Das Verantwortungsbewusstsein, das ich oben umschrieben habe, fungiert als Klammer zwischen Macht und Befähigung. Das heisst nun folgendes: Wenn Leistung bloss in Eroberungen besteht und es einzig und allein um persönliche Erfolge und die eigene Karriere geht, so bleibt das Ganze auf der Strecke. Die Organisation, also das Unternehmen oder – im Falle Caesars die römische Republik -, gehen vergessen oder werden missachtet. Das Wohl anderer, der Mitarbeiter bzw. der Gesellschaft, bleibt unberücksichtigt: ein narzisstisches Verhalten.

Wo darf das Leistungsprinzip keinesfalls gelten?
Ich habe folgende Fälle erlebt: Ein Vorgesetzter schikanierte seine Mitarbeiter immer wieder sträflich, verfügte aber über exzellente Kundenbeziehungen und erwirtschaftete regelmässig Erträge; ein ganzes Team wollte sich nicht in die interne Struktur einordnen und bestimmte Unternehmenswerte einhalten, war jedoch sehr erfolgreich und brachte neue Kundengelder. In beiden Fällen sprach man von einem Dilemma und liess sie gewähren, nur um die Gewinne nicht zu gefährden. In beiden Fällen war dies falsch, weil es sich nicht um ein Dilemma handelte, sondern um eine falsche Wahl: Das Leistungsprinzip wurde über die Wertvorstellungen der Firma gestellt. Diese Fehler rächten sich später.

Was antworten Sie einem High Potential, der Sie in einem persönlichen Gespräch danach fragt, wie man Karriere macht – über Leistung oder über Kooptation, die unter politischen und persönlichen Gesichtspunkten von oben erfolgt?
Erstens lässt sich eine Karriere nicht wirklich planen. Zweitens geht es nicht ohne Leistung (im bereits definierten Sinn). Drittens muss in diversen Funktionen bewiesen werden, dass Mann oder Frau verantwortungsvoll gehandelt hat. Und viertens sollte Karriere nicht als Selbstzweck gesehen werden, dem alles untergeordnet wird. Jeder Mensch soll sich im Klaren werden über seine Wertvorstellungen und die Frage beantworten, was für ihn im Leben wichtig ist. Auch wenn eine (Führungs-)Karriere zum Lebensinhalt gehört, muss er oder sie sich im Klaren sein, dass hierzu Gesundheit und soziale Einbettung in einen Kreis von Angehörigen und Freunden gehören. Einzig auf die Karriere setzen, ist kurzsichtig und verhilft nicht zum Glück, das alle anstreben. Die Frage «wie willst du in Erinnerung bleiben?» sollte deshalb jede Person für sich beantworten können. Was nützt eine steile Karriere bis zum CEO, wenn man nach dem Rücktritt ausser Geld keine Familie und Freunde mehr hat oder beim Betreten eines Restaurants ausgepfiffen wird?